Homepage Übersetzung

CARUSOS LETZTER SOHN - Leseproben/Bilder

 

 

 

________________________

Pekin Kirgiz (Tenor)
Pekin Kirgiz (Tenor)

 

Am Ende der „Rigoletto“-Gala im Palais des türkischen Staatspräsidenten in Ankara sprang der Ehrengast Präsident Charles de Gaulle plötzlich protokollwidrig auf, folgte dem Tenor hinter die Bühne und machte ihm ein spektakuläres Angebot. Doch dann kam alles ganz anders im Kismet des zeitlichen Geschehens …

 

Es ist die faszinierende, glorreiche und mitunter tragische Geschichte einer der schönsten Stimmen der Welt: des türkischen Star-Tenors Pekin Kirgiz von der Staatsoper Ankara, der, einst Meisterschüler des legendären Carlo Galeffi, als Einziger Enrico Carusos Technik erbte und auch heute noch in der Türkei Furore macht. Auch berichtet die Autorin von seinen Erlebnissen in der Bundesrepublik Deutschland und der Schweiz, wo es nur wenigen Operngängern vergönnt gewesen ist, ihn zu hören - und von seinen denkwürdigen Besuchen und einer Marienerscheinung in Luxemburg.

 

Im August 2009 ging eine Pressemeldung wie ein Lauffeuer durch die Türkei: Professor Dr. Pekin Kirgiz wird in den Lehrkörper der Adiyaman Universität im Südosten der Türkei eintreten, um die Leitung des angeschlossenen Staatlichen Konservatoriums zu übernehmen.

 

Fotos: Privatarchiv
Fotos: Privatarchiv

 

 

 

 

Pekin Kirgiz mit der Autorin bei einem festlichen Abendessen in Deutschland. Dezember 1982

 

 

Leseproben:

 

 

  Sigrid von Broich

 

CARUSOS  LETZTER  SOHN

 

Pekin Kirgiz

 

Der Roman einer Belcanto-Stimme

 

Tenöre sind die Kinder der Sonnengötter – also von Apollo, zugleich  der Gott des Gesanges, und Sol, der später mit Apollo verschmolz. Mit ihnen gemeinsam entstammen sie Zeus.

Oben im Olymp thronten sie, leuch­tende Stimmen, und die eine oder andere flog weit über allen Sonnenstaub hinaus ins strahlende Gold des Kosmos.

Aber irgendwann einmal muss eine Fee gekommen und den ersten der größten Tenöre des Olymps an ihre Flügelhand genommen und nach Italien geführt haben, wo Zeus als Jupiter und Apollo als Sol verehrt wurden. Dort, zwischen Neapels „Santa Lucia“ und Venedigs „Barkarolen“, der Mailänder „Scala“, Florenz und den Pinien von Rom, entstand der Belcanto, der zur Zeit Donizettis bereits Vollkommenheit erreichte.

Doch jeder Tenor, dessen Stimme sich über den sichtbaren Grat dieser Welt hinaus schwang und in den Glanz raumloser, täglich sich erneuernder Ewigkeit verwandelte, fügte sei­nen eigenen natürlichen, hörbaren Akzent hinzu: der eine, wie Beniamino Gigli, den Klang der Mittagssonne im Zenit – der andere, wie Enrico Caruso, sehn­suchtsvolle Sonnenuntergänge, die das Tränenmeer der Menschen auf der Erde vergoldeten.

Neben Caruso verblichen alle anderen Halbgötter zu beiden Seiten des  Jupiter-Thrones ... Er sang von der „Scala“ bis zur „Metropolitan Opera“ in New York, in Mexiko und Kuba, doch als er in dem prachtvol­len Opernhaus von Manaus am brasilianischen Amazonas auftreten sollte, bereiteten Apollo-Sol schon seinen Rückzug von der Erde vor.

Aus seinem, Enrico Carusos Wesen heraus, mit seiner Technik, wurde ein neuer Tenor geboren – im wahrsten Sinne des Wortes „Carusos letzter, legitimer Sohn“, angeleitet, geführt, geschult von einem der  einst intimsten persönlichen Freunde des großen Meisters; versehen mit einem für abendländische Ohren seltsamen Namen: Pekin Kirgiz, und dies alles geschah – Schicksal, Fatum – jenseits des Saumes der west­lichen Welt, nämlich in Kleinasien, Anatolien, Anadolú, der Erde mit dem Blick zum Osten.

Dort also hinterließ Caruso seine orangefarbenen Spuren in Gestalt eines lyrischen Tenors …

 

 

"Was denken Sie über die Liebe?", fragte ich Pekin Kirgiz einmal.

Er antwortete: "Die Liebe ist wie ein silberner Lebensbaum, an den der Tenor goldene Äpfel hängt."

 

 

 

 

 

S.14 

 An einem solchen Abend, als er wieder in den Ästen saß, vernahm er plötzlich die Stimmen der Vögel. Der Tag ging zu Ende, es war ein ganzes Vogel-Orchester, das ihn umringte. Wie war es nur möglich, dass er die Vögel  zuvor überhört hatte? Er hatte sie übertönt.  Er erinnerte sich an die Worte  seiner Mutter von der Seide,  die  er zuvor nie begriffen hatte.  Er  musste also leiser singen als die Vögel,  wollte er  ein Konzert mit  ihnen anstimmen, und er probierte zum ersten Male bewusst seine Stimme zu einer Seiden-Technik. Es ging, es funktionierte,  er war überglücklich.  Er würde nun immer singen wie Seide und in der Höhe stets einen strahlenden Ton über dem orangefarbenen Sonnenuntergang, so wie er ihn jetzt vor sich sah.  Dieses Bild würde  ihn zeitlebens begleiten.

An diesem Abend in den Baumwipfeln von Zile fasste  er den Entschluss,  Opernsänger zu werden.

 

 

 

S.17-19

   Er stand nun, siebzehnjährig,  klein an Wuchs wie die meisten Tenöre, vor seinem siebzigjährigen Gesangslehrer Nr. 1, der ihn für die kommenden drei Jahre ausbilden sollte. Er stand vor einer mächtigen, euphorischen Gestalt, die ihn mit einem  italienischen Redeschwall in die Arme schloss: Carlo Galeffi, einer der berühmtesten Baritone der italienischen Operngeschichte, einst intimer Freund Carusos, mit dem er jahrelang in den Opern-Tempeln der Welt gesungen hatte, von der Mailänder Scala bis zur Metropoli­tan in New York.

   Und Galeffi nahm sich nun Pekin Kirgiz vor, dem er nicht allein die Technik des Belcanto beibrachte, sondern auch jene Stimmen-Tricks, die sein Freund Enrico Caruso ihm zu Zeiten an­vertraut hatte. Er fing bei Pekin Kirgiz sozusagen mit dem Hohen C an – mit jenen hohen Passagen, die der Tenor heute mit spielender, strahlender Leichtigkeit singt. Doch der Flug ging noch höher, über das „do aigu“, das Hohe C hinaus – zu einem ebensolchen, strahlenden „Re bemolle“, wie Bellini es in seine Puritaner einschloss, ein „Re bemolle“, das nur die wenigsten Tenöre auf den Opernbühnen sin­gen; zu ihnen gehörten in unseren Tagen, außer Pekin Kirgiz,  Pavarotti und Bergonzi.

 

Zu Anfang hatten sie beträchtliche Schwierigkeiten, sich zu verständigen: der temperamentvolle Carlo Galeffi und sein anatolischer Caruso-Schüler. Galeffi sprach nur wenig Türkisch und Pekin Kirgiz kein Italienisch. Galeffi ließ ihn die italienischen Operntexte auswendig lernen – insbesondere Rigoletto, der nicht nur seine, sondern auch Carusos Lieblingsoper war. Und schließlich verstanden sie sich – via Rigoletto, La Traviata und Tosca, denn gleichzeitig studierte der Tenor-Lehrling die Libretti in Türkisch.

Galeffi zählte viele Istanbuler zu seinen Bewunderern aus seiner großen Epoche. Istanbul, das einstige Konstantinopel, besaß – und besitzt – eine jahrhunderte-alte italienische Kolonie. Zum Ge­nuss von Theater, Literatur und Mode begab man sich nach Paris, zur Freude an der Musik nach Mailand, Florenz, Rom und Neapel. Und so war es nicht verwunderlich, dass die türkische Regierung, als sie im Sinne von Atatürks „Moderne“ das Konservatorium der Hauptstadt Ankara weiter ausbaute, einen glanzvollen Namen wie Galeffi enga­gierte.

 

Zu der gleichen Zeit, als Pekin Kirgiz Meisterschüler Galeffis geworden war, lernten auch wir Carlo Galeffi kennen. Mein Mann, Paolo, war mit der Eröffnung des damals besten Hotels von Ankara beschäftigt, wir waren aus Sizilien gekommen, doch nicht Ankara war es, wo wir diesen überwältigenden Bariton trafen, sondern eine anatolische Kleinstadt, Eskişehir. Paolo hatte Galeffi noch als Rigoletto im Teatro Bellini in Catania erlebt.

   Es war kalt in Eskişehir. Galeffi stellte sich, um sich zu erwärmen, neben einen glühenden Kanonen­ofen und begann, mit ausgebreiteten Armen eine Verdi-Arie zu singen. So gewaltig war seine Stimme, dass – wenn Stimmen Feuer entfachen könnten – die Mauern von Eskişehir in Brand gesteckt  worden wären. An jenem Abend erzählte Carlo Galeffi von seinem türkischen Schüler, Pekin Kirgiz,  aus dem er – wie er uns sagte – einen zweiten Caruso, einen Weltstar machen werde.

„Ist so etwas möglich, einen zweiten Caruso zu erschaffen?“, fragten wir ihn. „Io“, betonte er in seiner Antwort, „lo posso fare“ – „Ich kann das machen. Natürlich“, so fügte er hinzu, „hat jeder Tenor seine Eigenart – das heißt, seinen Stil und seine Naturstimme.“ Und da fiel  uns fast automatisch die Geschichte des Doppelgängers von Caruso ein, denn Enrico Caruso besaß ein „Double“,  den Tenor Cristalli.

 

© Sigrid von Broich

All rights reserved

 

 

Sigrid von Broich, früher Journalistin, lebte lange als Ehefrau eines Hoteldirektors in Italien, dem Land der Oper, und im Mittleren Osten (hauptsächlich in der Türkei) und lernte dort, wie überall in ihrem Hotelleben, viele Berühmtheiten aus Kunst, Politik und Wirtschaft kennen. Mit dieser romanhaften Biografie setzt sie ihre 2005 begonnene Reihe zu besonderen Erfahrungen, die im Zusammenhang mit dem Mittleren Osten stehen, fort.

 

188 S.

€ 14,90

ISBN 978-3-8391-1069-0